Der Dialekt

Dialekte und Hochsprachen

Luherbibel

Im Gegensatz zu dem, was viele denken, sind Mundarten nicht von Hochsprachen „abgeleitet“. In früheren Zeiten gab es nur örtliche Dialekte bzw. Mundarten. Hochsprachen sind eigentlich Mundarten, die durch bestimmte geschichtliche Ereignisse oder durch die geographische Lage des Gebietes, in dem sie gesprochen wurden, eine überregionale Ausstrahlung bekommen haben.

Wiege des Französischen ist zum Beispiel die „Île de France“, das Gebiet um Paris, politisches und kulturelles Herz des Landes, weil dort der Hof des Königs etabliert war. So wurde Französisch 1539 per Dekret zur Amtssprache für das ganze französische Königreich.

In Deutschland war es Luther, der mit seiner Bibelübersetzung 1534 (also fast zur selben Zeit wie das französische Dekret) seine Mundart (Teil des Frühneuhochdeutschen) sozusagen zur Hochsprache erhob.

Das Gemmenicher Platt in der germanischen Sprachlandschaft

Niederfränkisch in der Dialektlandschaft

Das Gemmenicher Platt gehört zum Niederfränkischen, und zwar zu einer der niederrheinischen Varianten, die in einem schmalen Landstreifen von Eupen bis Düsseldorf gesprochen wird. Die Varianten unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, in welchem Maße sie die zweite Lautverschiebung mitgemacht haben. Dies wird durch einen Blick auf die Landkarte deutlich.

Die Grenzlinien zwischen den verschiedenen Varianten sind nach Orten benannt, die sich auf ihnen befinden. Die bekanntesten und typischsten sind die Ürdinger und die Benrather Linie, zwischen denen sich unsere Mundart befindet und die die Grenze zwischen „k“ und „ch“ markieren. Die Ürdinger Linie besteht eigentlich aus mehreren Linien, die sich in Ürdingen kreuzen, und den Übergang von ik/ich (und Varianten) anzeigen.

Die Benrather Linie trennt eigentlich das Niederdeutsche vom Mitteldeutschen. Als Referenz gelten die Laute „maken“ (niederfränkisch) und „machen“ (ripuarisch). Gemmenich liegt praktisch auf dieser Linie, denn sagt man bei uns noch maake (machen), saakens (Sachen), so heißt es einige Kilometer weiter östlich, in Aachen, mache und sache.

Deutsch oder Niederländisch?

Wie bereits angeführt sind Dialekte sprachhistorisch vollwertige Sprachen. Dennoch gibt es immer wieder Diskussionen, sogar zwischen Sprachgelehrten, ob diese oder jene Mundart doch nicht eher deutsch oder eher niederländisch sei. Dies gilt umso mehr für unser Platt, da es sich geographisch genau an der Grenze zwischen zwei Hochsprachgebieten befindet.

Solche Fragen werden innerhalb von Deutschland oder den Niederlanden in der Regel nicht gestellt, obwohl es dort genauso viele Dialektvarianten gibt. Der Verdacht ist daher nahe liegend, dass solche Äußerungen eher auf politischen als auf sprachwissenschaftlichen Beweggründen beruhen.
Die Argumentation geht dabei immer nur von der konsonantischen Lautverschiebung aus, obwohl es viele andere Elemente gibt, die die Zugehörigkeit einer Sprache zu einer bestimmten Sprachgruppe bezeichnen.

In der Einleitung unseres Wörterbuches schreiben wir:

Wir haben es für richtig gehalten, zum Teil Orthographieregeln derjenigen Kultursprache zu übernehmen, der unser Dialekt am nächsten steht, und dies ist das Deutsche.

Im Folgenden möchten wir diese Stellungnahme an Hand von sachlichen Argumenten weiter untermauern.

Kultursprache

Sprachlich und auch geschichtlich hat Gemmenich vorwiegend — ungeachtet der zahlreichen Verschiebungen, die die europäische Geschichte im Allgemeinen kennzeichnen — unter deutschem Einfluss gestanden. Kennzeichnend dafür sind die zahlreichen Lehnwörter, die das Plattdeutsche dem Deutschen entnommen hat: tsum bajspiil, tsiidong (Zeitung), roüber… Nach dem 2. Weltkrieg wurde Französisch die Amtssprache, und so fanden auch französische Wörter ihren Weg in den örtlichen Dialekt: filätmakroo (Makrelenfilet), radjografii (Röntgenbild)… Niederländische Lehnwörter gibt es dagegen kaum.

Sprachliche Merkmale

Wie bereits erwähnt beruht die Eingliederung der Dialektfamilien fast ausschließlich auf den konsonantischen Kriterien der zweiten Lautverschiebung.

Dialekte werden aber auch durch vokalische Merkmale gekennzeichnet. Ein wichtiger Aspekt, den unsere Mundart mit dem Deutschen teilt und den das Niederländische nur in seltenen Fällen aufweist, ist die Umlautung (Mehrzahlformen, Diminutive, Konjugation…). Einige Beispiele:

  • vaal, Pl. väl (dt. Fall/Fälle, nl. geval/gevallen)
  • koo, Pl. köö (dt. Kuh/Kühe, nl. koe/koeien)
  • book, Dim. bökske (dt. Buch/Büchlein, nl. boek/boekje)
  • ech val, doo vels (dt. ich falle/du fällst, nl. ik val, je valt)

Die starken Mehrzahlformen sind großenteils erhalten geblieben, im Gegensatz zum Niederländischen, wo die schwachen Formen „-(e)n“ und „-s“ überwiegen:

  • woasch, wöasch (dt. Wurst, Würste, nl. worst, worsten)
  • kenk, kenger (dt. Kind, Kinder, nl. kind, kinderen)
    (Nl. wurde der starken Form kinder die Endung „-en“ angehängt, weil sie nicht mehr als Mehrzahl empfunden wurde.)
  • bank, bänk = Sitzbank (dt. Bank, Bänke, nl. bank, banken)
  • bank, banke = Geldinstitut (dt. Bank, Banken, nl. bank, banken)
  • spääler, spääler (dt. Spieler, Spieler, nl. speler, spelers)

Viele Suffixe von Adjektiven und Substantiven sind der deutschen Form ähnlicher als der niederländischen:

  • bootschaft, reakenschaft (dt. Botschaft, Rechenschaft nl. boodschap, rekenschap)
  • reakenung, mäldung (dt. Rechnung, Meldung, nl. rekening, melding)
  • studäntin, aptiekerin (dt. Studentin, Apothekerin, nl. studente, apothekeres)
  • politiker, eläktriker (dt. Politiker, Elektriker, nl. politicus, electricien)
  • werekleĝkeet, mööleĝkeet (dt. Wirklichkeit, Möglichkeit, nl. werkelijkheid, mogelijkheid)

Schließlich sei noch erwähnt, dass bei den meisten falschen Freunden (Wörter mit ähnlicher Form aber verschiedener Bedeutung) das plattdeutsche Wort dieselbe Bedeutung wie das deutsche hat:

  • nät (dt. nett, nl. aardig; nl. net = dt. soeben)
  • döare (dt. dürfen, nl. mogen; nl. durven = dt. wagen)
  • schlääm (dt. schlimm, nl. erg; nl. slim = dt. schlau)

Eigenarten des Gemmenicher Platts

In den meisten Fällen ist die Verwandtschaft der Gemmenicher Mundart mit den angrenzenden germanischen Hochsprachen deutlich:

Ose klenge jeet no jen schuel (unser Kleiner geht in die Schule)
Der buur mot noch de köö mäleke (der Bauer muss noch die Kühe melken).

Daneben gibt es germanische Wörter, die es im Deutschen bzw. Niederländischen nicht (mehr) gibt, dafür aber in anderen germanischen Hochsprachen. Ein typisches Beispiel ist das Wort schaav (Schrank), das man auch im dänischen skaf wiederfindet (entfernt auch verwandt mit nl. schap = Regal).

Schließlich hat das Gemmenicher Platt auch Wörter, die in keiner anderen Mundart oder Sprache auftauchen, zumindest soweit wir beurteilen können. Einige Beispiele: hüüv (Knicker, Murmel), schlödĵ (Pantoffel, Gebäck, Maul), mölsch (schlechter Kaffee), usw.

Links

Hier finden Sie einige interessante Links zu sprachlichen Themen und zum Gemmenicher Raum.